- oder das Sprachspiel und sein trauriges Ende
Gefunden im Hugendubel Verdi Blog
Jeder, der heute noch auf Genuß und Bildung hält, pflegt sich über das
Fernsehen aufzuregen, weil selbst hoch- und höchstwertiger Filmkonsum
dort ständig von Werbung unterbrochen wird. Philosophisch betrachtet ist
dies - wie so vieles, was kultivierte Menschen tun - jedoch äußerst
fragwürdig. Daß die Werbung dort ständig von anderen Sendungen
unterbrochen wird, scheint von der Warte höherer Weltweisheit aus
nämlich sehr viel ärgerlicher.
Wer den Geist unserer Zeit verstehen will, muß Werbung sehen. Nicht die
Sportschau, nicht den Tatort auch nicht langweiliges und unwichtiges
Bildungszeugs von Sloterdings und Konsorten, sondern einfach nur: die
Werbung!
Denn man kann sagen: wenn wir Werbung sehen, konsumieren wir nicht.
Unsere Aufmerksamkeit wird gezielt auf die Möglichkeit und die Bedeutung
des Konsumierens selbst gelenkt. Attention! Interest! Desire!
Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schrittt zu ein paar
eminent philosophischen Fragen, die uns tatsächlich umtreiben sollten:
was ist der Mensch unter den momentanen herrschenden Lebens- und
Arbeitsbedingungen? Was will er sein? - oder genauer noch: was ist aus
ihm geworden, daß er so sein will?
Was aus uns geworden ist
Nehmen wir ein Beispiel aus der Fernsehwerbung, das auf diese Fragen einiges Licht wirft:
der junge Chef einer New-Economy-Klitsche, in der gerade die Mitarbeiter
fieberhaft Nachtschicht schieben, bringt - weil dort ja alle prima
Kumpel sind und er natürlich auch - seinen Mitarbeitern das Abendessen
an den Arbeitsplatz. Die Pappkartons, mit denen man ihn aus dem Auto
steigen sieht, verraten: es gibt Pizza.
Und erstaunlicherweise sind es nicht eigentlich fragwürdigen Dinge an
dieser Geschichte - ist es weder die Klitsche noch die Nachtschicht noch
der Ausbeuter noch die Ausbeutung (und auch nicht die Pizza aus dem
Pappkarton), die hier beworben werden und dem Publikum erst mal halbwegs
schmackhaft gemacht werden müssen, sondern - man kann es kaum glauben:
das Auto, das der Ausbeuter fährt.
Alles andere findet der Zuschauer nach Dezennien kapitalistischer
Gehirnwäsche offensichtlich ohnehin geil - und zwar so geil, daß er
womöglich sogar ein Auto kauft, das ihm das Gefühl gibt, zu jener
seltsamen communio sacramentorum getriebener Kreaturen (und
Pizza-Konsumenten) zu gehören.
Der langen Rede kurzer Sinn: im Wertekanon des homo oeconomicus heutiger
Prägung hat das Ideal obsessiver und exzessiver Selbstausbeutung seinen
angestammten Platz - und medial wird alles Notwendige unternommen, daß
es dabei auch bleibt. Der Mensch, so wird im suggeriert, braucht ja
schließlich ein echtes Zuhause: seine Firma - und einen höheren
Lebenszweck: den Erfolg seiner Firma!
Warum meine Firma meine Firma ist
Das bringt uns auf die Frage: seit wann ist das eigentlich "seine" Firma
oder "unsere" Firma? - Eigentlich noch gar nicht so lange! Bis vor ein
paar Jahrzehnten dominierte hier der nüchterne Blick auf die
Eigentumsverhältnisse - und ein Arbeitnehmer, der von "seiner" oder
"unserer" Firma sprach, hätte von seinem Chef wahrscheinlich so etwas zu
hören bekommen wie: "Ich habe diese Firma aufgebaut, und deshalb ist
das immer noch meine Firma."
Schließlich aber greift der Kapitalismus wie ein heranwachsendes Mädchen
freudig nach allem, was der Schminkkasten so hergibt - und so verhalf
er dem Sozialismus zu jenem letzten Sieg, der ihm im politischen Leben
und wirtschaftlichen Treiben bis dato verwehrt blieb, nun schon mal im
dazugehörigen Sprachspiel. Hier hat die Expropriation der Expropriateure
quasi vorab ihre verbale Realisation erfahren.
Aus dem Arbeiter von einst ist der Mitarbeiter einer Firma geworden; und
diese darf er jetzt - mit verklärtem Blick auf das teils operative,
teil imaginäre Miteinander im Konkurrenzkampf aller gegen alle, die in
anderen Firmen "Wir" sind und "unser" sagen - nicht nur die "seine" oder
die "unsere" nennen, sondern er soll sogar. Identifikation ist
angesagt: für die Firma - mit dem Namen - mit der ganzen Person!
Nicht mehr der "Wir"-Sager, der Flegel, der tut, als hätten alle
zusammen schon mal Schweine gehütet, ruft bei den Chefs von heute
Empörung hervor, sondern der potentielle Dissident, der ihnen sagt, die
Firma, für die er arbeite, sei die "ihre" - und damit in rudimentärer
Form so etwas wie Klassenbewußtsein signalisiert. Einer von den
Ewig-Gestrigen also, der's noch immer nicht kapiert hat - was immer es
auch sein soll, das er noch nicht kapiert hat!
Und auch für ihn hat die Sprache der Macht das passende Argument zur
Hand: "Wir alle leben von dieser Firma, und deshalb ist das immer noch
unsere Firma".
Weshalb sie es dann doch nicht ist
Man muß diese Aussage nicht weiter zerpflücken - das hieße, den ganzen
Marx abschreiben. In ihrer vordergründigen Plausibilität hat sie etwas
durchaus bestechendes - ja fast erdrückendes. aber stellen wir uns
trotzdem einmal vor: ein Chef, der gerade einem seiner Mitarbeiter
gekündigt hat, erhielte zur Antwort: "Geht gar nicht! Das ist ja immer
noch meine Firma!"
Ob solcher Anhänglichkeit entweder peinlich berührt seine Schuhspitzen
betrachtend oder seine Finger nachzählend und feststellend, daß es nach
wie vor zehn sein müßten, käme er nicht umhin seinem Gegenüber die
schmerzliche Wahrheit zu eröffnen, die da lautet: "Tut mir leid, jetzt
ist es nicht mehr deine Firma."
Hier nimmt das Sprachspiel sein trauriges Ende! - und mancher, der am
einen Tag noch mit leuchtenden Augen von "seiner" Firma sprach, musste
schon am nächsten Tag feststellen, dass er sich für selbige umsonst den
... aufgerissen hat. - Das Los des abhängig Beschäftigten!
Wer nun denkt, dies sei ja wohl mehr als trivial, hat zwar völlig Recht.
Völlig Recht zu haben, reicht aber leider nicht. Man muss im
entscheidenden Moment, statt sich den ... aufzureissen, den Mund
aufmachen - und zwar nicht, um von wohlmeinenden Chefs spendierte Snacks
einzuwerfen, sondern um ihnen, wenn's auch weh tut, so etwas zu sagen
wie:
Kommt uns bloß nicht mit Pizza!
Quelle: Hugendubel-Verdi Infoblog